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Goldene Oscars im Champagner-Teint

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Die 95. Oscar-Verleihung brachte einen Sieg fürs Independent-Kino, Österreichs Oscar-Hoffnungen blieben unerfüllt.

In allzu vielen Stellschrauben können die Oscar-Veranstalter nicht drehen, um die Verleihung des begehrtesten Filmpreises der Welt zu verändern. Immerhin gab es in diesem Jahr gleich zwei geradezu revolutionäre Veränderungen, die fast niemand mitbekam: Einerseits installierte die Oscar-Academy eine Notfalltruppe, die eingeschritten wäre, falls sich wieder jemand aus dem Publikum von einem Oscar-Redner beleidigt gefühlt und auf der Bühne Watschen verteilt hätte. Aber alles blieb gesittet und Will Smith ist sowieso für zehn Jahre gesperrt.

Die zweite Neuerung betraf den roten Teppich, der jetzt champagnerfarben ist. Damit gleicht er sich dem sonst eher faden Erscheinungsbild der Oscars an, das in Beigetönen und Goldglitzer den ganz klassischen Teint dieser Gala fortsetzte; man kam sich in der Show vor, als wäre man in die 1970er zurückgebeamt worden. Sonst bleibt bei der Academy kaum Spielraum für Revolutionäres. Weshalb die Show zum halbrunden Jubiläum auch recht handzahm ausfiel und sich Moderator Jimmy Kimmel zum Zustand einer insgesamt recht ideenlosen Branche äußerte: „Es heißt, Hollywood gehen die Ideen aus. Steven Spielberg musste schon einen Film über Steven Spielberg machen.“

Verneigung Hollywoods vor dem Independent-Film

 

Gemeint war Spielbergs sechsfach nominierter, aber am Ende gänzlich ohne Preis gebliebener Film „The Fabelmans“, in dem er aus seiner eigenen Jugend erzählt. Den Juroren der Academy gefiel in diesem Jahr ein anderer Film besser: „Everything Everywhere All at Once“ wurde zum großen Gewinner der 95. Oscars. Es ist eine Verneigung Hollywoods vor dem Independent-Kino: Insgesamt elffach nominiert, konnte sich der Film des 35-jährigen Regieduos Daniel Scheinert und Daniel Kwan breitflächig gegen die Konkurrenz durchsetzen und wurde als bester Film ausgezeichnet. Daneben erhielt die Produktion auch den Regie-Oscar und Michelle Yeoh die Ehrung als beste Hauptdarstellerin. Insgesamt konnte das Werk sieben Oscar-Statuetten mit nach Hause nehmen. Ke Huy Quan und Jamie Lee Curtis konnten dabei die beiden Nebenrollenkategorien für sich entscheiden, womit „Everything Everywhere All at Once“ letztlich drei der vier Darstellersparten dominierte.

Ein Sieg, der sich schon früh an diesem abzeichnete. Und der vor allem den Traum vom Underdog am Siegertreppchen neu befeuerte. Als Ke Huy Quan seinen Nebenrollen-Oscar entgegennahm, folgte eine der emotionalsten Dankesreden der Oscar-Geschichte: „Meine Reise hat auf einem Boot begonnen, ich habe ein Jahr in einem Flüchtlingscamp verbracht. Und irgendwie habe ich es hierher geschafft, auf Hollywoods größte Bühne. Es heißt immer, solche Geschichten passieren nur im Film. Ich kann nicht glauben, dass es mir passiert ist. Es ist der Amerikanische Traum“, sagt Ke Huy Quan.

Dasselbe passierte im Fall der ungleich prominenteren Jamie Lee Curtis. Die 64-Jährige bekam ihren ersten Oscar nach einer jahrzehntelangen Weltkarriere, die bislang ähnlich preislos verlief wie die ihrer Eltern. Sowohl Tony Curtis als auch Janet Leigh waren zwar je für einen Oscar nominiert, gingen aber leer aus. Ein Blick von Curtis gen Himmel rührte das Publikum. „Sie waren auch nominiert, und ich habe ihn jetzt gewonnen“, sagte eine bewegte Jamie Lee Curtis. Es war überhaupt ein Abend der Emotionen: Denn auch Brendan Fraser, der sich in der Kategorie Bester Schauspieler doch überraschend gegen Colin Farrell und Austin Butler durchsetzte, rührte das Publikum zu Tränen. Als schwer übergewichtiger Mann glänzt Fraser in Darren Aronofskys „The Whale“ und brachte dem Schauspieler, der lange Jahre als Actionstar eher jenseits der Preiskategorien firmierte, einen hochverdienten Darsteller-Oscar.

Animationsfilm: Stop-Motion schlägt den Computer

 

Der Triumph für „Everything Everywhere All at Once“ deckte an diesem Abend ein wenig zu, dass heuer auch einige Arbeiten prämiert wurden, denen man durchaus mehr gegönnt hätte. Sarah Polley gewann zum Beispiel den Oscar für das beste adpatierte Drehbuch für ihre Regiearbeit „Women Talking“. „Ich danke der Academy, dass sie sich nicht gefürchtet hat vor den Wörtern Women und Talking“, sagte die freudige Polley zu ihrem Preis. Guillermo del Toro räumte den Oscar für den besten Animationsfilm ab, und das, obwohl sein „Pinocchio“ in althergebrachter Stop-Motion-Technik animiert worden ist, während die gelackten, digital kreierten Hochglanzprodukte wie „Turning Red“ von Disney oder „Der gestiefelte Kater 2“ von Dreamworks leer ausgingen. Es ist dies auch eine Verbeugung vor dem Retrocharme, den die Academy so liebt. Keinen Oscar gab es indes für die österreichische Cutterin Monika Willi, die für den besten Filmschnitt für „Tàr“ verantwortlich war. Der Film von Todd Field, der sechsfach nominiert war, wurde von der Academy am Ende komplett ignoriert.

Die politische Message des Abends war der Preis für den besten Dokumentarfilm an „Nawalny“ über Kreml-Kritiker Alexej Nawalny. Regisseur Daniel Roher bedankte sich mit den Worten: „Ich möchte diesen Preis Alexej Nawalny und allen politischen Gefangenen der Welt widmen. Alexej, die Welt hat deine wichtige Botschaft nicht vergessen: Wir alle dürfen keine Angst haben, Widerstand gegen Diktatoren und Autoritarismus zu leisten.“ Auch seine Frau Julija Nawalnaja sprach auf der Oscar-Bühne: „Mein Mann ist nur im Gefängnis, weil er die Wahrheit gesagt hat, weil er die Demokratie verteidigt hat“, sagte sie. „Alexej, ich träume von dem Tag, an dem du frei sein wirst und unser Land frei sein wird. Halte durch, meine Liebe!“

(Gar nicht so) deutscher Triumph in Hollywood

 

Fehlt nur mehr der Triumph für den deutschen Netflix-Beitrag „All Quiet on the Western Front“ von Regisseur Edward Berger. Das Remake des Erich-Maria-Remarque-Klassikers war neunfach nominiert und staubte vier Awards ab: Bester internationaler Film, beste Filmmusik, beste Kamera und bestes Produktionsdesign. „Ein toller Erfolg für den deutschen Film“, frohlockte gar Deutschlands sonst eher nüchterner Kanzler Scholz als Reaktion. Dabei ist die Netflix-Produktion, die nun der erfolgreichste deutsche Film aller Zeiten bei den Oscars geworden ist, so deutsch nicht: „All Quiet on the Western Front“ entstand völlig am deutschen Filmfördersystem vorbei mit ausschließlich internationalem Geld. Ein Umstand, der den politisch Verantwortlichen in Berlin zu denken geben sollte.

Eher beleidigt zeigten sich James Cameron („Avatar 2“) und Tom Cruise („Top Gun: Maverick“): Weil sie nicht an die Preischancen für ihre Filme glaubten (oder nicht in ihren Wunschkategorien nominiert worden waren), blieben sie der Oscar-Gala überhaupt gleich fern. Manchmal sind auch die ganz Großen der Filmgeschichte ein bisschen kindisch.

 

 

This article is originally published by .wienerzeitung.at

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